77-Jahre - Münchens schönste Seite

Die AZ feiert Jubiläum – mit ihrem Stadtspaziergänger Natürlich wäre so ein 77. Geburtstag ein grandioser Anlass, (wieder) einmal zurückzublicken auf die bewegte Geschichte der Abendzeitung. Auf die in Teilen schwere Geburt in noch deutlich schwereren Zeiten 1948. Auf die wilde, manchmal frivole und mitunter beinahe zügellose späte Jugend in den späten Sechzigern und in den Siebzigern. Auf Nachwuchs, den die AZ in ihren fruchtbarsten Zeiten zum Beispiel in Augsburg und Nürnberg hatte. Auf besinnliche Weihnachten, an denen die Zeitungsfamilie mit ihren Freunden und Stars in der Manege zusammengekommen ist. Und so vieles mehr. Allerdings passt so eine selbstherrliche und -verherrlichende Nabelschau in SchwarzWeiß-Rückblenden nicht ins Selbstverständnis der Abendzeitung dieses Jahrtausends. Die AZ versteht sich als Informations- und Unterhaltungslieferant für die Menschen in und um München. Unsere Redaktion hat die Welt im Blick – und versucht stets, dabei herauszufiltern, was das große Ganze mit unserer Stadt zu tun hat und wie es auf sie wirkt. Zugleich wollen wir jeden Tag aufs Neue die Lebensrealität in dieser Stadt abbilden – mit ihren schwierigen und komplexen Seiten – aber noch viel lieber mit ihren lebensfrohen und leichten Seiten. Gerade die gedruckte Abendzeitung soll auch ein Medium der Entschleunigung und des Münchner Lebensgefühls sein – und das ist nun mal kein schwermütiges, zum Glück. Darum haben wir uns entschieden, in dieser Sonderausgabe zum 77-jährigen Bestehen quasi einen Sammelband zu veröffentlichen: eine Auswahl mit den schönsten Impressionen, die unser Stadtspaziergänger Sigi Müller mit seiner Kamera festgehalten hat. Anders als der frühere AZSpaziergänger Blasius, dessen Ausflüge sein spitzzüngiges Alter Ego Sigi Sommer († 1996) so pointiert mit Worten aufs Papier brachte, lässt Sigi Müller lieber seine Bilder sprechen. Vielleicht haben Sie ihn auch schon einmal in Ihrem Viertel – manchmal mit seinem großen, weißen Hund, immer jedoch mit Kamera – gesehen. Aus vielen Rückmeldungen unserer Leserinnen und Leser wissen wir, dass unser – wie wir gern sagen – Lichtbildhauer und seine Arbeit sehr geschätzt werden. Sigi Müller hat als AZ-Stadtspaziergänger auch gerade ein Abendzeitung-Jubiläum gehabt: sein zehnjähriges. Dieser Sonderdruck ist also gleich eine doppelte Festtagsausgabe. Wir haben aus dem Konvolut von mehr als 500 Bilder-Spaziergängen einige ausgesucht, die Lust machen, ihnen im Wortsinn sofort nachzugehen. Und sicher dürfte auch einer in Ihrer Nachbarschaft dabei sein. Viel Freude also mit dieser besonderen AZ, mit den Bildern und Anregungen! Wir freuen uns, wenn Sie sich freuen. Mit uns. Und an der Abendzeitung. Die Abendzeitung wird 77. Das würdigen wir mit Ihnen – und vielen München-Ausflügen Kamera stets dabei: Fotograf und AZ-Stadtspaziergänger Sigi Müller mit seiner Samojede-Hündin Shana. Archivfoto: augenblick-fotografie.com VON CHEFREDAKTEUR MICHAEL SCHILLING michael.schilling@abendzeitung.de Münchens schönste Seiten 77 Jahre AZ – wir zeigen Ihnen: Gasteig Die herrlichste Stadt-Terrasse S. 23 Uni-Viertel Das reinste Straßentheater S. 32 TEL. ABO 089.2377-3400 | TEL. ANZEIGEN 089.2377-3300 | WEB WWW.ABENDZEITUNG.DE | ADRESSE GARMISCHER STR. 35, 81373 MÜNCHEN SAMSTAG, 28. JUNI 2025 | NR. 146/26 · B88197 | SONDERAUSGABE ZUM 77. GEBURTSTAG DER ABENDZEITUNG

Sigi Müller in seiner üblichen Pose: mit einer Kamera in der Hand und fröhlicher Neugierde im Blick. Hier dokumentiert der Fotograf, wie es auf der U3-Baustelle am Bonner Platz in Richtung Münchener Freiheit vorangeht. Wo andere nur schnöde Alltäglichkeit sehen, sucht Sigi Müller nach interessanten Details. Mit großen Augen wie ein Kind Der Stadtspaziergänger Sigi Müller hat den perfekten Treffpunkt für das Interview gewählt: die Dachterrasse des Fat Cat am Gasteig. Von hier kann er die Stadt komplett überblicken und über all die Orte sprechen, an denen er fotografiert hat. Wie viele das waren? „Es gibt keinen Meter, wo ich nicht schon Bilder gemacht habe“, sagt er. AZ: Herr Müller, wie ging es los mit den Stadtspaziergängen? SIGI MÜLLER: Sie haben sich angeboten, weil ich denselben Vornamen habe wie der legendäre Sigi Sommer. Ich kann natürlich nicht schreiben wie er – er war ein Gigant an der Schreibmaschine –, aber ich kann so fotografieren, wie er geschrieben hat. Der erste Stadtspaziergang war im Februar 2015 in der Abendzeitung. Seither sind über 500 Seiten erschienen. Planen Sie sie vorab oder ziehen Sie einfach los? Nur die wenigsten Fotostrecken habe ich vorher geplant. Oft entstehen die Geschichten einfach so, wenn ich durch München ziehe. Ich mache ein Bild, dann noch eins – und gerate in einen Flow. Die Redaktion hat mich mal gefragt, ob ich einen Plan mit den nächsten Stadtspaziergängen schicken kann. Da musste ich antworten: Ich kann keinen Plan schicken, denn ich habe keinen. Aber dafür immer eine Kamera dabei? Genau. Und die Geschichten passieren dann einfach. Manchmal bin ich nach zwei Stunden mit der Bilderstrecke fertig. Manchmal fahre ich allerdings fünfmal irgendwo hin und muss die Geschichte verwerfen, weil sie nicht die nötige Leichtigkeit hat. Manche Gegenden sind sehr schön – aber irgendwie lebt nichts auf den Bildern. Aber viele Ihrer Bilder kommen ohne Leben aus, sprich ohne Menschen. Ja, und das hat auch einen Grund. Wenn man Menschen fotografiert und sie gut zu erkennen sind, muss man sie fragen, ob sie einverstanden sind. Früher wollten die Leute gern in die Zeitung, manche haben sich geradezu aufgedrängt. Aber heute passiert es oft, dass ich Fotos mache und dann Leute pampig fragen: Haben Sie mich gerade fotografiert? Deshalb gehe ich oft früh los, wenn noch kaum Menschen unterwegs sind. Aber wenn mich Leute als den AZ-Stadtspaziergänger erkennen, sprechen sie mich immer sehr freundlich an. Und geben mir oft auch gute Tipps, wo ich mich mal umsehen sollte. Wie bereiten Sie sich vor, wenn Sie an einen Ort zum ersten Mal gehen? Gar nicht, und zwar mit Absicht. Einmal wollte mir eine Pressefrau vor einem Termin Informationsmaterial schicken. Ich habe ihr gesagt, dass ich das nicht brauche: Ich will vor ihrer Tür stehen wie ein kleines Kind mit großen Augen. Was hat Sie als Fotograf nach München verschlagen? Das war Zufall. Nach meiner ersten Ausbildung habe ich festgestellt, dass aus mir kein leidenschaftlicher Industriekaufmann wird. Also habe ich in Nordhessen eine zweite Ausbildung zum Fotografen gemacht. Dann war in einer Fachzeitschrift ein Fotostudio am Lerchenauer See ausgeschrieben, das habe ich angemietet und bin im November 1982 hierhergezogen. Es hat dauernd geschüttet, aber ich wusste: Hier bleibe ich, hierher hätte ich viel früher kommen sollen. Wie hat sich München seither verändert? Die Leute sind damals noch auf einen zugekommen. Früher bin ich noch Auto gefahren, weil man eine Chance hatte, irgendwann einen Parkplatz zu finden. Ich stand oft vor meinem Auto, klappte meinen Faltplan auf dem Dach aus und habe versucht, mich in der neuen Stadt zu orientieren. Und es kam immer jemand, um zu helfen und mir zu erklären, wie ich fahren muss. Auch in der U-Bahn oder S-Bahn haben sich immer Gespräche ergeben. Heute schauen alle auf ihr Handy. Und wie hat sich die Stadt aus Sicht des Fotografen verändert? Es gibt mittlerweile mehr Kräne als Gebäude. Überall sind Baustellen. In meiner Wohngegend am Werksviertel wird jedes Jahr gebaut. Und schauen Sie sich hier mal um... (Beim Blick von der Dachterrasse nach Westen zählt man rund ein Dutzend riesige Kräne). Man kann keine Großaufnahme dieser wunderbaren Stadt machen, ohne dass ein Kran im Bild ist. Welche Ratschläge geben Sie Menschen, die München entdecken wollen und schon alle Reiseführer gelesen haben? Sie sollten mit der Tram fahren, am besten mit der Tram 21 durch die Altstadt, das ist die schönste Linie. Wenn ihnen etwas gefällt, sollen sie aussteigen und sich in Ruhe alles anschauen. In zehn Minuten können sie dann mit der nächsten Tram weiterfahren. Und jenseits dieser Strecke? Jeder sollte mal bei Sonnenaufgang auf dem Olympiaberg gewesen sein, da ist die Stimmung toll. Und die wenigsten kennen den Nordteil des Englischen Gartens. Da trifft man Biber, Dachse, Füchse, da ist noch echte Natur, da kommt man sich manchmal vor wie in Kanada. Und es gibt unheimlich schöne U-Bahnhöfe. Die kennen viele gar nicht, weil sie nicht auf ihren Strecken liegen. Zum Beispiel? Die U-Bahnhöfe am Olympiaeinkaufszentrum, am Westfriedhof mit der wunderschönen Beleuchtung und der Bahnhof Josephsburg mit den Karos. Im Alltag übersieht man schöne Details oft. Wie schärft man seinen Blick? Man muss neugierig sein. Hinter die Ecken schauen. Und hinsehen. Mich fragen immer wieder Leute, ob sie mich bei meinen Spaziergängen begleiten können, aber ich muss immer Nein sagen. Denn dann ratsche ich und sehe nicht. Wann ist die beste Zeit, um zu fotografieren? Morgens. Es ist immer gut, wenn die Sonne noch nicht so hoch steht. Besonders schön ist die blaue Stunde, also die zehn Minuten morgens, wenn es nicht mehr ganz schwarz ist. Oder abends, bevor es schwarz wird. Die Kamera-Sensoren sind für dieses Blau empfindlicher als für andere Farben. Man braucht aber immer eine weitere Lichtquelle, etwa einen Autoscheinwerfer oder ein beleuchtetes Schaufenster. Aber grundsätzlich gilt: Man kann zu jeder Zeit gute Bilder machen. Dafür muss man lernen, mit Licht umzugehen. Fotografieren heißt, mit Licht zu malen. Sie haben auch viele Stars fotografiert. Welches Erlebnis ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? Zum Beispiel ein Konzert von Ozzy Osbourne. Davor haben wir Fotografen in der Olympiahalle ein Schreiben in die Hand bekommen, in dem stand, dass wir keinen Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn Ozzy mit der Schaumkanone schießt. Ich war also gewarnt. Dann kam Ozzy auf die Bühne, ganz langsam, und man hat bei ihm ja immer das Gefühl, dass er gleich umfällt. Er bewegte sich auf der Bühne auch erst mal überhaupt nicht. Aber ich wusste: Wenn es losgeht, dann muss ich schnell sein. Und so kam es dann vermutlich auch? Plötzlich greift dieser langsame Mensch nach dem Schlauch, der hinter der Monitorbox lag, dreht ihn noch in der ersten Bewegung auf und spritzt sofort los. Ich hatte meinen Rucksack sicherheitshalber schon geschultert, bin sofort losgerannt und habe nur einen Spritzer abgekriegt. Aber die anderen Fotografen sahen vor lauter Schaum aus wie die Schneemänner. Es war ganz klar: Ozzy hatte es auf uns Fotografen abgesehen. Interview: Dominik Petzold Sigi Müller spricht über seine Spaziergänge, über die Kunst des Fotografierens und über den Wandel der Stadt und ihrer Bewohner INTERVIEW mit Sigi Müller Der Fotograf kommt aus Edingen, einem hessischen Dorf in der Nähe von Wetzlar. Seit 1982 lebt und arbeitet er in München. ‚‚ Früher sind die Leute noch auf einen ‘‘ zugekommen 3 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE

4 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Münchens schöne Altstadtgassen Bei meinem Altstadt-Spaziergang geht es die Herzog-Wilhelm-Straße hinauf. Vorbei am Italiener am Eck, an der Parktiefgarage mit der breiten Einfahrt und dem kleinen Park. Genau da, wo sich jedes Jahr die Wagen für den Oktoberfesteinzug der Wirte sammeln. Am Ende noch einmal umgedreht und man hat, durch frisches Baumgrün, den Blick auf die Spitze des Justizpalastes in der Ferne. Rum ums Eck und ich bin in der Kreuzstraße, gehe vor zur wuchtig-spätgotischen Allerheiligenkirche am Kreuz, kurz Kreuzkirche, die 1485 geweiht wurde. Ein schwarzes Motorrad steht unter einer Grabtafel mit einer Kreuzigungsszene. Die Sonne verschwindet hinter der Turmspitze und ich erlebe eine Turmfinsternis, weil sich um den Turm eine Korona bildet. Da, wo die Damenstiftstraße beginnt, ist eine schöne Madonna an einer Hauswand. Ich stromere kreuz und quer durchs Hackenviertel mit seinen Stiftund Spitalstraßen, finde schöne Verzierungen an alten Gebäuden. Das Hackenviertel ist sicher das schönste der vier Altstadt-Viertel. Das ehemalige Hotel Münchner Kindl wird umgebaut, ein türkisfarbenes Dixiklo davor bringt ebenso Farbe ins Bild wie die rot-weiße Absperrung. Ich frage mich immer wieder, ob nicht der FC Bayern den Umbau in München sponsert, denn natürlich ist ein Stück weiter auch wieder ein Kran und wieder alles rot-weiß gestreift davor – die Bayern-Farben. Ich liebe ja, wie Sie wissen, die Münchner Baustellen und deren Beständigkeit, und würde ich ein Sammelalbum anlegen, wäre dieses schnell voll. Auch heute hätte ich meine Sammlung wieder im großen Stil ergänzen können. Irgendwann komme ich dann zum Sendlinger Tor, und nein, den Satz mit dem Blick zur Kreuzung Sonnenstraße verkneife ich mir. Viele Menschen sind in der Frühlingssonne unterwegs. Ein Standl mit bunten, handgemachten Bändern, Traumfängern und Schmuck, leicht bewegt durch den warmen Wind. Ein Vorbote des Sommers. Einen wirklich sehr schönen Teil der Altstadt habe ich heute besucht und viel Geschichtsträchtiges gesehen. Es macht richtig Spaß, durch die alten Gassen zu stöbern und hin und wieder in einem Straßencafé zu sitzen. Es besteht nun mal kein Zweifel: München ist einfach schön! Das Hackenviertel ist wohl das schönste Viertel in der Münchner Altstadt – es hat Atmosphäre, die es anzuschauen lohnt Altstadt-Optik pur: eine Hausmadonna mit Jesuskind auf dem Arm an der Damenstiftstraße, Ecke Brunnstraße. Fotos: Sigi Müller Herzog-Wilhelm-Straße, Ecke Kreuzstraße: das Tor zum Hackenviertel. Idas Milchladen: leider schon lange zu. Hier soll saniert werden. Seit 1877 eine Institution: der Künstlerbedarf Schachinger. Stillleben: ein gotisches Marmor-Epitaph mit einem Motorradl davor. Ein bisserl grantig schaut es schon, dieses Münchner Kindl. Blick aus der Josephspitalstraße Richtung Radspielerhaus. Mystisch: die Sonne hinter der Allerheiligenkirche am Kreuz. Noch eine Madonna mit Kind.

6 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Bunte Pasinger Palette Ich steige am Pasinger Bahnhof aus der S-Bahn und lasse mich zum Ausgang, dem Bahnhofsplatz treiben. Eine Tram rumpelt heran. Ein Mann und eine Frau reinigen die Gleiszwischenräume. Beide tragen Gelb, der Mann sogar einen gelben Hut. Die Sonne brennt vom Himmel. Derweil sitzen Menschen in den Cafés oder laufen, mit Einkäufen bepackt, aus den Pasing Arcaden. S-Bahn, Bus, Tram, Taxen: Man kommt gut hin und weg von hier, ein echter Verkehrsknotenpunkt. Ich gehe weiter, sehe auf der anderen Seite des Bahnhofs einen Gebäudekomplex, in dem Rechtsanwälte, Krankenkasse, ein Fitnessstudio, unten Lokale, eine Apotheke und vieles mehr untergebracht sind. Alles Neubauten. Gleich gegenüber dann das wunderschöne Gebäude, schön restauriert, mit der Hausnummer 2. Weiße Balkone, ein schön gestalteter Türrahmen, eine alte Uhr über der Bahnhofsapotheke. Ein Platz voller Kontraste. Ein Denkmal erinnert an die Opfer des Todesmarschs der Häftlinge des Dachauer KZ. Und auch hier: Blumenwiese, anstatt streichholzlangem Rasen. Mohnblumen blühen, die Insekten freuen sich. Ich schlendere weiter durch die Bäckerstraße Richtung Pasinger Marienplatz, vorbei an dem großen, bunten Graffito an einem Gebäude, dem Kunstprojekt „Randbreite“ von Martin Blumöhr aus dem Jahr 2015. Weiter geht’s zum Pasinger Rathaus, dort biege ich rechts Richtung Marienplatz ab, ja, auch Pasing hat einen! Nicht bloß die Altstadt. Die goldene Maria glänzt in der Sonne, darunter Tische und Stühle eines Restaurants. An der Mariensäule zähle ich elf Betonkübel mit roter Plastikumrandung und üppigen Büschen darin – auf den Fotos sieht es fast hübsch aus. Mir kommt der Platz immer irgendwie improvisiert vor, ein bisschen, als würde man sich Sorgen machen, man hätte zu wenig versiegelt. Aber man könnte schnell die Blumenkübel wegräumen und es wäre wieder der schöne Beton zu sehen. Ich gehe zurück Richtung Bahnhof durch die große Fußgängerunterführung auf die andere Seite in die Pasinger Fabrik. Dort warten Fleischpflanzerl auf mich und Kartoffelsalat und ein alkoholfreies Weißbier im Biergarten. Sommer in der Stadt! Das Stadtviertel ganz im Westen ist ein Kosmos für sich. Guter Grund für den Stadtspaziergänger, sich hier mal umzusehen 22,50 Meter hoch: das Kunstprojekt von Martin Blumöhr in der Bäckerstraße. Fotos: Sigi Müller Ein hübsch herausgeputztes Häuslein mit bunter Auslage. Das alte Pasinger Rathaus – heute Außenstelle der Stadtverwaltung. Gründerzeitliche Pracht am Pasinger Bahnhof. Ein Pasinger Wahrzeichen: die Mariensäule. Als wenn hier ein Raumschiff gelandet wäre: die Pasing Arcaden. Die Marienfigur mit Jesuskind mal von ganz, ganz nah. Mahnmal: Auch hier führte der Todesmarsch der KZ-Häftlinge vorbei. Der Pasinger Bahnhofsplatz: ein echter Verkehrsknotenpunkt.

8 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Giesinger Zeitreise Einen richtigen Plan habe ich noch nicht, als ich so die Tegernseer Landstraße entlang stromere. Busse, Tram, Autos und Fußgänger liefern sich eine verwirrende Choreografie. Es ist noch früh und die meisten Menschen sind auf dem Weg zur Arbeit. Wie eine Filmstraße wirkt dieses kurze Stück Straße bis zur Haltestelle Silberhornstraße. Bald sehe ich den ersten Flutlichtmasten des 60er-Stadions, dann finde ich langsam hinein in meine Geschichte: Jeder Stadtteil hat ja etwas Eigenes, aber zwei Stadtteile in München stechen heraus. Schwabing – steht für Nachtleben und wilde Vergangenheit. Und Giesing – untrennbar verbunden mit dem Fußball. Alleine die Kneipen, überall bunte 60erAufkleber mit dem Verein als Thema. Giasing ist halt nicht einfach bloß ein Stadtteil, es ist ein echtes Lebensgefühl. Obwohl ich wenig von Fußball verstehe, habe ich hier schon viel erlebt. Fotografierte 2009 Daniel Bierofka, saß 2012 mitten im Stadion vor der entschärften Bombe, die bei Bauarbeiten gefunden wurde. Traf 2014 den legendären Torwart, die Sechzig-Ikone Radi Radenkovic und machte Fotos von ihm im Stadion. Schwebte 2018 mit einem Heißluftballon über Giesing und konnte sehen, wie sehr das Stadion in den Stadtteil eingebunden ist. Im gleichen Jahr war ich einen ganzen Samstagnachmittag mit der Legende, dem damaligen Stadionsprecher Stefan Schneider, im Stadion unterwegs, durfte mir alles anschauen, und anschließend konnte ich mir sogar noch ein Spiel anschauen. Weiß-blaue Fahnen überall, ein Hexenkessel. Die Häuser an der Grünwalder Straße stehen so nah, dass die Bewohner der oberen Stockwerke die Spiele aus den Fenstern anschauen können. Allein der Fanaufmarsch an den Spieltagen – das ganze Viertel ist da im Ausnahmezustand. Westen mit bunten Vereinsaufnähern, zum Teil an die nächste Generation weitergegeben, Polizei zu Fuß und auf Pferden, Gesänge, Parolen, alle vereint im Fußball. 2021 hatte ich zum letzten Mal dort zu tun, machte Aufnahmen von „Bulle“ Franz Roth und hörte von ihm spannende Geschichten aus seiner aktiven Zeit – die Bayern waren hier ja bis 1972 ebenfalls zu Hause. In Giesing habe ich immer das Gefühl: Egal, auf welcher Straße ich gehe, zum Schluss lande ich immer am Stadion. Ich schlendere noch ein bisschen weiter und stehe irgendwann vorm U-Bahnhof Wettersteinplatz. Hier endet meine persönliche Zeitreise. Der Stadtspaziergänger strawanzt rund um das Grünwalder Stadion – es kommen viele Erinnerungen hoch Zum 25. Jubiläum von Stefan Schneider als Stadionsprecher der Löwen: Blick auf die Fankurve 2018 beim Spiel gegen Eintracht Braunschweig (Endstand: 2:0). Fotos: Sigi Müller Blick aus dem Ballon: das Grünwalder aus der Luft. 2014: Radi Radenkovic am 80. Geburtstag in „seinem“ Stadion. Abstecher in die Au: der Mariahilfplatz vom Heißluftballon aus. Unvergessen: Diese Fliegerbombe wurde 2012 unterm Rasen gefunden. Auch er spielte hier: „Bulle“ Franz Roth 2021 vorm Stadion. Giesing – fest in Löwen-Hand. Münchens größtes Graffiti an einer Hauswand in der Zehentbauernstraße. 2018: Der langjährige Stadionsprecher Stefan Schneider. 2009: Daniel Bierofka – damals noch als Löwen-Spieler.

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10 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Ein alter Platz mit neuem Leben Das Erste, was mir auffällt, als ich über den Sendlinger-Tor-Platz schlendere, ist die Fassade des Kinos. Seit ich denken kann, waren es immer große, handgemalte Werbebilder, die auf die neuesten Filme hinwiesen. Eine bunte Wand, bestückt mit Filmträumen. Ben Affleck habe ich hier einmal bei einer Filmpremiere fotografiert. Meine damalige Freundin begleitete mich, wartete am Eingang und als ich zurückkam, stand sie mit leuchtenden Augen da. „Er hat mir die Hand gegeben,“ erzählte sie baff. Ein Ritterschlag des großen Hollywoodstars hatte sie ereilt. Was tun? Die Hand nie wieder waschen? Vor einigen Jahren habe ich einen der letzten Kinoplakatmaler, René Birkner, der die Bilder für das Sendlinger-TorKino malte, in seinem Atelier besucht und eine Geschichte darüber gemacht. Natürlich kein kleines schnuckeliges Künstleratelier, sondern eine Halle. Groß Denken war angesagt. Formate, die nicht auf eine Malstaffelei passen. Nun ist es vorbei und obwohl ja genug darüber berichtet wurde, ist es etwas anderes, wenn man davor steht. Es war früh am Morgen, der Kiosk wurde gerade vom Getränkewagen beliefert, volle Bierkästen rein, das Leergut auf den LKW, Menschen auf dem Weg zur Arbeit, andere relaxt in der Sonne auf der runden Bank vor dem UBahn-Eingang. Nach langer Bauzeit wurde der neue Bahnhof im letzten Jahr frei gegeben und wenn man sich durch diese Unterwelt bewegt, kommt man sich ein bisschen vor wie in einem großen, gelben Bienenstock. Ein Gewusel von vielen Menschen mit vielen Zielen. Alles in Bewegung. Ah, der Giesinger Bräu ist jetzt auch hier. Noch geschlossen, der große Außenbereich noch leer, das wird sich bestimmt gleich ändern. Die blaue Gedenksäule des AidsMemorials, welches 2001 errichtet und 2002 enthüllt wurde, ist weithin zu sehen und trägt die Aufschrift „Den Toten, den Infizierten, ihren Freunden, ihren Familien, 1981 bis heute.“ Durch die Türme, oder auch den großen Durchlass des Sendlinger Tors schlendere ich Richtung Sendlinger Straße. Gegenüber dem Laden „Oma´s Köstlichkeiten,“ Jesus lebensgroß am Kreuz. Im Inneren der Backsteintürme das übliche Geschmiere an den Wänden, offensichtlich einfacher zu ertragen, als ernsthaft etwas dagegen zu unternehmen. Am Sendlinger-Tor-Platz, wo bis vor Kurzem noch eine Chaos-Baustelle war, kann man sich jetzt unter Bäumen vom Trubel der Fußgängerzone erholen. Doch etwas fehlt – und das vermisst der Stadtspaziergänger sehr Eine Münchner Institution ist verschwunden: Das Kino am Sendlinger Tor hat schon seit einer Weile geschlossen. Früher haben über dem Eingang große gemalte Filmplakate gehangen und Lust auf den nächsten Kinobesuch gemacht. Fotos: Sigi Müller Hier unter dem Schatten der Bäume kann man sich entspannen und Kraft tanken. Vor zehn Jahren hat ein Mann die Jesusfigur abgerissen. Danach hat die Stadt sie restaurieren lassen. Das Sendlinger Tor ist das südliche Stadttor der historischen Münchner Altstadt. Es wurde im 14. Jahrhundert erbaut. Diese Stele erinnert daran, wie viele Menschen bis heute an Aids erkranken und wie sehr auch ihre Angehörigen darunter leiden. Endlich keine Baustelle mehr: Jahrelang hat auf dieser Kreuzung Chaos geherrscht. Wie in einem Bienenstock: So sieht der neue U-Bahnhof am Sendlinger Tor jetzt aus. Hinter diesem Durchgang beginnt die Sendlinger Straße.

Unterwegs im alten Moosach Beim sommerlichen Spaziergang in Moosach blühen die Linden noch. Ich starte am Maibaum, am Moosacher St.-Martins-Platz mit der alten St. Martinskirche, die zurück bis ins 12./13. Jahrhundert datiert. Bis 1924 war das alte Kircherl Pfarrkirche. Auf dem uralten, denkmalgeschützten Friedhof sind seit 2016 endlich wieder Beerdigungen gestattet. Die neue, viel größere Martinskirche (erbaut in den 20er Jahren) befindet sich übrigens am Chemnitzer Platz, ganz in der Nähe. Hinter einer großen Wiese liegt das Kultur- und Bürgerhaus Pelkovenschlössl. Durch eine Lindenallee daneben führt der Weg zum Chemnitzer Platz und eben zur neuen Pfarrkirche. Überhaupt ist hier alles schön eingewachsen und es ist herrlich grün. Ich schlendere weiter an der Pelkovenstraße entlang. Noch ganz schön dörflich ist es hier, zumindest teilweise. Einige alte Villen wirken fast wie kleine Schlösser. Ich gehe vor bis zur Dachauer Straße am Eck – und freue mich auf schon auf meinen Besuch im Biergarten beim Alten Wirt. Hier sitze ich unter Kastanien, esse einen wirklich guten Schweinsbraten und trinke ein kühles Weißbier. Die Gegend ist mit der U 3 gut zu erreichen. Obwohl Moosach schon lange zu München gehört, hat sich hier ein eigenständiger Charakter rund ums Schlössl erhalten. Auch die kleinen Gässchen, die von der Pelkovenstraße abgehen, sind sehr sehenswert. Irgendwie ist München halt doch noch ein Dorf. Im alten Ortskern des Stadtteils im Westen: Der Stadtspaziergänger staunt, wie beschaulich München sein kann Entdeckt: eine farbenfrohe Madonna an einer Hauswand. Traditionswirtschaft seit 1442: der Alte Wirt in Moosach. Rustikales beim Alten Wirt: ein guter, erschwinglicher Schweinsbraten. Anno 1898: eine prächtige Villa in der Pelkovenstraße. St. Martins-Platz: Moosachs Keimzelle und heutiges lebendiges Zentrum. Fotos: Sigi Müller Die uralte St. Martinskirche mit ihrem Friedhof. Einstmals ein Herrensitz: das Pelkoven-Schlössl. Noch ganz schön ländlich wirkt hier die Franz-Fihl-Straße. Das ist die neue Martinskirche. Kriegerdenkmal am Martins-Platz. ‚‚ Einige Villen wirken wie ‘‘ Schlösser 11 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE

12 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Flower Power am Glockenbach Von der Müllerstraße biege ich in die Hans-SachsStraße ein. Vorbei an dem Antiquitätenladen, einem Hotel. Zur Linken das Arena Kino. In der Coronazeit habe ich dort den Inhaber Christian Pfeil für die AZ besucht. Ein schönes, kleines Kino. „Keep ya head up, the show goes on“, steht an dem Schaufenster eines Friseurgeschäfts. Auf der anderen Straßenseite viele Nasenschilder, die die örtlichen Lokalitäten bewerben. Gut was los in der Ecke. Was auffällt: Es ist lebendig hier, quirlig, bunt und individuell. Vieles spielt sich auf den Gehwegen ab. Vor einem kleinen Geschäft zwei Drahtsessel und auf einem kleinen Tischchen zwei riesige Blumensträuße in großen Vasen. Sogar den „7. Himmel“, einen kleinen Laden, gibt es hier. Nun hätte ich den siebten Himmel nicht unbedingt im Glockenbachviertel erwartet, aber wenn’s so ist, dann ist es wohl so. Man entdeckt viele besondere Kleinigkeiten. An einigen alten Gebäuden elegante Verzierungen, und als ich ein Stück weiter an eher schmucklose Wohngebäude komme, sind die zum Teil wunderschön und märchenhaft bemalt und machen die Gegend zu etwas ganz Besonderem. Viel Eigeninitiative und viele Ideen werden umgesetzt, ich kann mir vorstellen, dass es angenehm ist, hier zu leben. Am Westermühlbach blühen knallgelbe Blumen. Kleine Farbteppiche am weitgehend noch tristen Ufer. Ich biege in die Holzstraße ab und stehe bald vor der wohl bekanntesten (ehemaligen) Toilette der Stadt. Porträts von Albert Einstein, R. W. Fassbinder und Freddie Mercury schmücken die Wände des denkmalgeschützten Pissoirs. Ein öffentliches Telefon, unweit der Toilette, mit der Botschaft „Entschuldigung, zur Zeit gestört“ auf dem Display enthält auch eine auf den Hörer geschriebene Nachricht: „Call them and tell them you love them.“ Klingt nach einer guten Idee. Straßencafés, Leute im Freien, die die Sonnenstrahlen genießen. „Sei Pippi, nicht Annika“ steht an einer Hauswand, dazu ein kleines Porträt von Pippi Langstrumpf. Bunt, etwas schräg, sehr besonders würde ich die Ecke nennen. Toll. Der Stadtspaziergänger streift durch ein sehr kleinteiliges, sehr quirliges und sehr buntes Viertel So bunt ist das Glockenbachviertel: Mit etwas Farbe und noch mehr Fantasie ist diese graue Fassade in der Holzstraße aufgehübscht worden. Fotos: Sigi Müller Ein herrliches Plätzchen vor einem Laden in der Hans-Sachs-Straße. Ein berühmtes ehemaliges Klo: Freddie Mercury in der Holzstraße. Frühling! Das Ufer am Westermühlbach blüht richtig auf. Unglaublich, wie viel Klein-Grün das Glockenbachviertel hat. Da ist er also, der vielbeschworene 7. Himmel ... Idylle am Westermühlbach. Ein Hörer für schöne Botschaften. Der Blick aus der Hans-Sachs-Straße in Richtung Städtisches Hochhaus.

14 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Vor und hinter den Kulissen Ich bin ja jemand, der gerne hinter die Kulissen schaut. Genauso gerne sitze ich aber auch bei einer Kindervorstellung in der letzten Reihe und beobachte, wie Kinder, denen ja heute nachgesagt wird, sich nur noch mit dem Handy zu bewegen oder vor dem Computer zu sitzen, es in kürzester Zeit schaffen, sich in eine Geschichte hineinzudenken, mit den Schauspielern leiden, sie aufmerksam machen, wenn Gefahr auf der Bühne droht, mitfeiern, wenn zum Schluss doch alles gut ausgegangen ist, einfach ein Teil des Ganzen werden. Dieses Mal bin ich im Münchner Theater für Kinder in der Dachauer Straße und darf schon vorher dabei sein und zuschauen, wie die Bühne aufgebaut wird, erfahre einige Tricks, wie Requisiten in den kurzen Umbaupausen mit wenigen Handgriffen eine andere Bedeutung bekommen. Bin in der Garderobe, in der Maske, im Aufenthaltsraum der Schauspieler und kann zusehen, wie sich die Akteure langsam in ihre Rollenfiguren verwandeln. Dann geht es in die eben beschriebene letzte Reihe und schon der Einlass des Publikums ist besonders. Kinder haein unheimliches, verzaubertes Wesen, das Tier... Die Kinder singen mittlerweile aus vollem Herzen „Mach das Beste draus“, als wäre das Lied ein Hit, der täglich im Radio gespielt wird. In der Tram sehe ich später wieder das Mädchen mit der Oma. Angeregt unterhalten sie sich über das Erlebte. erzählt: Ein reicher Kaufmann flüchtet sich vor einem Unwetter in ein verwunschenes Schloss und nimmt am nächsten Tag heimlich eine Rose für seine jüngste Tochter mit, wird ertappt und muss fortan entweder selbst auf dem Schloss leben – oder eine seiner Töchter. Auf dem Schloss lebt nämlich ben keine Scheu, Neues zu entdecken. Ein Mädchen ist mit seiner Oma gekommen und achtet darauf, dass sie den richtigen Platz finden. Man hört Lachen, spürt Spannung, es ist laut und lebendig und als der Vorhang sich öffnet, sind die Kinder mittendrin in der Geschichte. Die ist schnell Seit 1977 gibt es das Theater für Kinder in der Dachauer Straße – der Stadtspaziergänger schaut einmal vorbei Der Garderobenspiegel ist schon fertig „angezogen“. Fotos: Sigi Müller Das ganze Ensemble im Stück: Die Schöne und das Tier. Herrlicher Jugendstil im ehemaligen „Regina“-Kino. Kein Zweifel: In dieser Garderobe werden Mädelswünsche wahr. Gleich ist Auftritt: die Schöne in der Maske.

Zeichnen? Echt kinderleicht! Bei einer AZ-Gala kam ich mit Mercedes und Dieter Hanitzsch ins Gespräch, und sie erzählten mir von einem Zeichen-Kurs im StadtteilKulturzentrum 2411 am Hasenbergl. Das hörte sich nach einer schönen Geschichte an – und so war ich dann an einem Dienstag auch dabei. Da das Ganze in den Ferien stattfindet, denke ich natürlich, dass in erster Linie Kinder kommen, aber das Publikum ist bunt gemischt. Von Jung bis Alt alles vertreten. Vier Jahre alt ist das jüngste Kind. Die Besucher werden herzlich begrüßt, und ich finde es immer wieder beeindruckend, wie manche Menschen es verstehen, andere sofort in ihren Bann zu ziehen. Obwohl erst mal nur Theorie unterrichtet wird, sind alle interessiert dabei. „Jeder kann zeichnen“, so die einfache Botschaft von Hanitzsch, und man glaubt es ihm sofort. Ein Strich muss nicht gerade sein und wenn man mehrere krumme Striche untereinander malt, hat man schon das Meer. Ein Kreis darüber, ein paar Striche drum herum, und schon ist er fertig, der Sonnenauf- oder auch -untergang am Meer. Und so geht’s weiter. Für die Erwachsenen ist Dieter Hanitzsch natürlich ein Begriff, seit vielen Jahrzehnten kennen wir alle seine politischen Karikaturen. Ein Meister seines Fachs. Die Kinder wussten nicht, wer da vor ihnen stand Die Kinder aber haben keine Ahnung, wer da eigentlich vor ihnen steht, doch alle sind mit Begeisterung dabei. Die Zeit vergeht wie im Fluge, aber auch nach den zwei Stunden ist noch nicht Schluss. Nun gehen einzelne Kinder an das Flipchart und es entstehen eigene Bilder. Ein Ottifant ist dabei, und Dieter Hanitzsch fachsimpelt mit den jungen Künstlern. Und irgendwie scheint es ja auch zu stimmen, dass tatsächlich jeder zeichnen kann, wenn er ein paar Tricks gezeigt bekommen hat. Im Kulturzentrum am Hasenbergl lädt Dieter Hanitzsch zum Kurs. Der Stadtspaziergänger ist ebenfalls mit dabei Ein bisserl Theorie muss sein – doch Dieter Hanitzsch erklärt sie anschaulich und geduldig. Fotos: Sigi Müller Linus, Hannah und Matea: Mit Begeisterung sind alle dabei. Ob jung oder alt – das Zeichnen macht allen Freude. Und zum guten Schluss: ein Selbstportät des Meisters. Das erste Bild ist entstanden. 15 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE

16 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Im Frühtau auf der Heide Eigentlich hatte ich geplant, ein Produkt für einen Kunden vor der aufgehenden Sonne zu fotografieren. Klar könnte man, mit wenigen Klicks, jedes Produkt in jeden Sonnenaufgang einsetzen, aber so arbeite ich nicht. Und so komme ich gegen 6 Uhr in der Früh ganz am Ende der Schleißheimer Straße an der Panzerwiese an, baue einen Klapptisch und einen großen Spiegel neben dem Radlweg auf. Ganz langsam graut der Himmel und das Schild Naturschutzgebiet und einige Sträucher schälen sich aus der Dunkelheit. Geisterhaft ist der Nebel am Boden zu erkennen. Das sind die magischen Momente, wo man Klapptisch und Spiegel wieder wegpackt und sich ganz darauf konzentriert, was passiert. Der Himmel färbt sich ganz langsam rötlich. Hinter mir brennen die Straßenlaternen, es ist noch dunkel. Immer mehr ist zu erkennen und irgendwann erscheint die Sonne hinter der Allianz Arena. Wow. Die ehemalige Panzerwiese, die bis Ende der 80er Jahre militärisch genutzt wurde, ist ein Naturschutzgebiet, eine Heidelandschaft und eine der wenigen Stellen, an denen man so einen Sonnenaufgang vom Boden aus in München erleben kann. Man hat fast den Eindruck, hinter der Heide kommen die Dünen, dann der Deich und das Meer. Eine fast perfekte Illusion. Wäre das dann die „Südsee“? Das Gras ist taunass, und da ich ja eigentlich keine Exkursion geplant hatte, sind es auch bald meine Schuhe und Füße. Ein Jogger läuft in der Ferne und bildet eine schwarze Silhouette im durchleuchteten Nebel. Im teils hohen Gras gibt es viele kunstvoll gewebte Spinnennetze. Wenn man genau hinschaut, sieht man oft auch die Spinne mitten im Netz. Rabenkrähen und ab und zu ein Flugzeug überfliegen die Landschaft. Ein Stück weiter beginnt der Wald. Die Sonne bricht auch hier durch die Bäume und wirft Lichtflecken auf den Waldboden. Ich kann nur empfehlen, hier einmal einen Sonnenaufgang anzuschauen – es lohnt sich. Der Stadtspaziergänger ist mal wieder sehr zeitig aufgestanden und fotografiert auf der Panzerwiese Morgenzauber mit Nebel, Windrad und Allianz Arena. Fotos: Sigi Müller Schaut fast aus wie eine schaurige Filmkulisse, oder? Eine Kreuzspinne zeigt in den ersten Sonnenstrahlen, was sie kann. Die Sonne lugt durchs Hartholz am nördlichen Ende der Heide. Eine Königskerze.

Nur der Name klingt lauschig Zugegeben, es ist nicht die Straße, an der man mit romantischen Gefühlen in großer Stille und lauschiger Umgebung dahinschlendert. Nein, die Landshuter Allee ist laut. Sehr laut. Macht auf sich aufmerksam, kann sich nicht verstecken. Doch wenn ich Ihnen eine Straße vorstelle, habe ich sie auch ausführlich durchstreift, um immer wieder Verborgenes zu entdecken. Und das erste schöne Kleinod in der „Allee“ findet sich bereits ganz am Anfang unter den Ausläufern der Donnersbergerbrücke. Wunderschöne, märchenhafte Bilder an den Wänden. Kunstvoll gesprayte Schätze in unschöner Umgebung. Ein altes Gründerzeitgebäude spiegelt sich in einer modernen Büroglaswand auf der anderen Straßenseite und bietet ein surreales Bild. Dann die großen Luftfiltersäulen an der Straße, die Schadstoffe wie Stickstoffdioxid, Feinstaub und Ozon reduzieren sollen. Wie große Lautsprechertürme stehen sie da – die Musik kommt von der Straße, leiser drehen kann man sie nicht. Vorbei am uralten Kino Maxim stehe ich irgendwann vor einem Waschsalon. Den gab es schon in den 80er Jahren, als ich Langsam nähere ich mich der Brücke über der Dachauer Straße, und ich hätte besser den Spaziergang abgebrochen, denn die Landshuter Allee endet, zumindest für die Fußgänger, recht bald, obwohl sie bis zur Triebstraße, also dem Frankfurter Ring, geht. Auf der einen Ringseite sehe ich einige Gebäudeteile der alten Borstei hinter vielen Bäumen, dann muss ich meinen Spaziergang durch den Olympiapark beenden. und so wurde aus Wäsche waschen ein Event. Durchs Fenster sehe ich ein paar Menschen, die, jeder für sich, in ihr Smartphone starren, während die Trommeln sich drehen. Manches im Leben war früher einfacher, spontaner und schöner, auch wenn die ein oder andere Socke von den gierigen Maschinen gefressen wurde. Von einer Fußgängerbrücke aus kann man den Verkehr in beide Richtungen beobachten. Ja, es ist wirklich viel los hier. noch in der Ruffinistraße wohnte, und ich erinnere mich an wunderbare Waschsalonpartys. War die Wäsche erst mal in der Maschine, konnte man damit die Wartezeit wunderbar überbrücken. In der Nähe gab es ein Lokal mit Straßenverkauf Eine Flaniermeile ist die Landshuter Allee nun nicht gerade – der Stadtspaziergänger hat’s trotzdem mal ausprobiert Nein, das sind keine Lautsprecher-Boxen, das sind Luftfilter. Kein Scherz! Die Brücke über der Dachauer Straße – auch das ist die Landshuter. Graffiti-Kunst II: ein neugieriges Huhn! Graffiti-Kunst I: ein eher fabelhaftes Wesen. Fotos: Sigi Müller So wenig los ist hier eher selten. 17 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE

18 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Die Wucht des Wassers Spätsommer 2024. Seit Tagen nur Regen, Horrormeldungen und Hochwasser in den Nachrichten. Grund genug, sich einmal an der Isar umzuschauen. Mit Samojedenhündin Shana in die S-Bahn, zum Rosenheimer Platz und am Gasteig an die Oberfläche. Ab und zu blitzt die Sonne durch die dunklen Wolken. Zumindest regnet es nicht. So gehe ich runter zur Isar. Von weitem höre ich schon das laute Rauschen am Wehr beim Kabelsteg. Die Lukaskirche leuchtet in der Sonne. Natürlich ist viel mehr Wasser im Fluss als sonst um diese Zeit. An die Bilder in den Nachrichten kommt das Hochwasser nicht heran. Trotzdem beeindruckend. Am Kabelsteg vorbei gehe ich in Richtung Maximiliansbrücke. Enten werden von den Wellen ganz schön durchgeschüttelt. Schon bald toben die Wellen am Wehr hinter der Brücke. Fast wie am Meer. Gischt sprüht. Die Fischtreppe auf der anderen Isarseite ist überspült, man spürt die gewaltige Kraft des Wassers. Ich glaube nicht, dass sich hier ein Schwimmer aus den Wellen und Wirbeln befreien könnte. Holzstämme werden vom Fluss mitgerissen Menschen schauen begeistert in die Fluten. Handys werden gezückt und Selfies gehen sofort an die Daheimgebliebenen. Holzstämme, irgendwo in die Isar gerissen, schwimmen in rasantem Tempo flussabwärts. Von der Luitpoldbrücke, auch Prinzregentenbrücke genannt, blicke ich noch zurück und mache Fotos von der Maximiliansbrücke mit dem Wehr davor. Immer wieder treibt der Wind dunkle Wolken über den Himmel und verdeckt die Sonne. Fast wirkt die Szenerie wie nachts aus einem Gruselfilm, und die Sonne, die schwach durch die Wolken leuchtet, wäre dann der Vollmond. Die Silhouette des Friedensengels zeichnet sich scharf gegen den Himmel ab, verschwindet aber auch schnell, wenn hinter ihr die schwarzen Wolken wieder den Himmel bedecken. Auch wenn die Bäume noch voller grüner Blätter sind, ist der Herbst schon zu spüren. An der Isar entlang hält der Stadtspaziergänger die gewaltigen Massen an Wasser fest, die runterrauschen Baden ist hier unterhalb des Maximilianeums zwar immer verboten. Doch selten ist der Fluss so gefährlich wie in diesen Tagen. Fotos: Sigi Müller Ein Lichtring – er kommt durch das extreme Teleobjektiv. Die treue Hündin Shana begleitet den AZ-Stadtspaziergänger. Vor der Maximiliansbrücke rauscht das braune Wasser. Die Lukaskirche leuchtet – vor dem nächsten Regenschauer. Die Maximiliansbrücke, im Hintergrund Muffathalle und Volksbad. Wie am Meer toben die Wassermassen umher. Bedrohlich wirkt der Friedensengel.

Auf und nieder, immer wieder noch der Münchner Stadtverwaltung – bis 1975, als aus der kommunalen die staatliche Polizei wurde. Weiter mit „Die seltsamen Methoden des Franz Josef Wanninger“, „Der Kommissar“ mit Erik Ode, „Der Alte“, „Derrick“, „Tatort“, „SOKO 5113“, „München 7“ und einigen mehr. Zumindest der Außenbereich sowie die Flure kommen heute noch immer in Serien vor, ebenso der Paternoster, der weiter in Betrieb ist. Ein uraltes Schild warnt, man nähere sich dem letzten Stockwerk, aber die Weiterfahrt sei „ungefährlich“. Natürlich muss das ausprobiert werden – und natürlich kommt man nicht kopfüber auf der anderen Seite an. Eigentlich kennen wir alle das Gebäude aus vielen Münchner Krimiserien in- und auswendig, oder? Angefangen mit „Isar 12“, der Schwarz-Weiß-Serie aus den 60er Jahren. Drehort damals war das Dienstgebäude Ettstraße 2–4 (Polizeiamt München der Stadtverwaltung München). Heute besser bekannt als Polizeipräsidium München. Aber damals unterstand die Polizei Auf dem ehemaligen Areal des Augustiner-Klosters (die Kirche steht noch, seit 1966 ist darin das Jagd- und Fischereimuseum) wurde das Gebäude vom königlichen Professor der Technischen Hochschule Theodor Fischer erbaut, 1913 eröffnet und immer wieder neuen Ansprüchen angepasst. Aus einem der vielen Höfe heraus sieht man viele vergitterte Fenster, Zellen, die man heute in der Menge nicht mehr benötigt. In den Gebäuden sind die Böden teilweise noch im Original, es gibt sogar ein kleines Museum. In einem Stockwerk sind Gedenktafeln in die Wände eingelassen. Auf ihnen wird den im Dienst verstorbenen Polizisten gedacht. Ein Datum fällt besonders auf: 9.11.1923, Hitlers Putschversuch am Odeonsplatz – fünf Polizisten verloren da ihr Leben. In der Eingangshalle findet sich ein schlichtes Kreuz. Dem Kreuzerlass in öffentlichen Gebäuden geschuldet, wurde es dort angebracht. Daneben steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar – der Artikel 1 des Grundgesetzes“. 112 Jahre alt ist der Bau des Polizeipräsidiums. Dem Stadtspaziergänger am meisten angetan hat es der alte Paternoster Natürlich steht er unter Denkmalschutz: einer der sehr wenigen erhaltenen Paternoster in München. Fotos: Sigi Müller Sehenswert: Mosaiksteinböden und sogar einen Springbrunnen gibt es. ... und polizeiliche Kopfbedeckungen bis 1975 (links) und 1935/36. Polizeimuseum: Originalkleidung eines Olympia-Attentäters 1972 ... Gedenken an die im Dienst getöteten Münchner Polizisten. Ein Schild aus längst vergangenen Tagen. 1913 eröffnet: das Münchner Polizeipräsidium. Keine Sorge, wer jetzt nicht aussteigt, dem passiert nichts. Schwungvoll: ein altes Treppenhaus im Präsidium. So schön kann ein Seiteneingang sein – wie hier in der Augustinerstraße. 21 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE

22 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Baumkirchen blüht auf Im Winter war ich schon einmal hier. Damals bei Schneeregen dominierte die Fläche als sogenannter Lost Place: ein unwirtliches, altes Bahnbetriebsgelände mit vor sich hinrostenden Gleisen und verfaulendem Holz, dazwischen Betonschwellen. Ausgewiesen ist das Ganze als ökologische Vorrangfläche. Im Winter konnte ich mir nicht vorstellen, wie es im Sommer hier wohl aussehen mag. Eigentlich hatte ich wenig Hoffnung, dass hier tatsächlich die Natur dominiert. Jetzt bin ich nochmals zurückgekehrt. Und? Ich bin überrascht, wie üppig es jetzt hier grünt und blüht. Unglaublich viele Pflanzen stehen gerade in voller Blüte. Dazwischen Bienen, Schmetterlinge und anderes Getier. Zweimal war ich in letzter Zeit hier und habe Fotos gemacht. Beim ersten Mal gelang es mir nicht, die auf den Schildern angegebenen Zauneidechsen zu entdecken. Es war Nachmittag und die Sonne brannte in den Kessel. Wahrscheinlich war das selbst den Eidechsen zu heiß und sie hatten sich deshalb in den Schatten verkrochen. Beim nächsten Mal kam ich früh am Vormittag und siehe da: ganz viele Eidechsen! Allerdings muss man sich extrem vorsichtig und leise nähern, damit man sie auch fotografieren kann zwischen den Bahnschwellen, auf den Steinen und auch auf den Stegen und Aussichtsplattformen. In die Stege sind kleine Lücken eingearbeitet und da verschwinden die flinken Reptilien, sobald sich Gefahr (oder ein Fotograf) nähert. Ich setze mich also auf die Stufe einer Plattform und beobachte eine Zauneidechse, mache Fotos und sehe, wie sich eine zweite näherte. Ein kurzes Anschauen, eine kleine Auseinandersetzung und sofort wird eine weggejagt. Der Sieger sonnt sich dann weiter. In allen Größen findet man sie. Sogar winzige Exemplare, die wahrscheinlich erst wenige Tage alt sind. Im Winter schien es mir fast unsinnig, auf den Stegen durch das insgesamt 13Hektar große Gelände zu laufen. Jetzt sieht man erst, wie viel Sinn es macht, und auch die Plattformen eignen sich perfekt für die Natur-Beobachtung. Auf dem ehemaligen Bahngelände ist eine wirklich schöne und gelungene Anlage entstanden. Aus einem ehemaligen Bahngelände ist ein kleines Paradies geworden: Es blüht und brummt und wuselt Diese Flockenblume wird von zwei Bienen gerade intensiv bearbeitet und „abgeerntet“. Fotos: Sigi Müller Bohlenwege führen hier ins dichte Grün. Ausgedient: Ein altes Drehkreuz modert vor sich hin. Zauneidechsen fühlen sich hier richtig wohl. Der Zitronenfalter leuchtet – die Biene ist im Anflug. Zart und filigran: die Prachtnelke. Ausgediente Bahnschwellen werden langsam begrünt. Distel? Wilde Karde!

Münchens tollste Dachterrasse Als der Gasteig noch der Gasteig war, habe ich dort oft Konzerte fotografiert. Spontan fallen mir BAP ein, Chris Rea, Carla Bruni und viele mehr. Oft fotografierte ich die Konzerte von Joan Orleans, mit der ich seit über 35 Jahren befreundet bin. Ich erinnere mich an viele ihrer Auftritte, bei denen sie, ganz Perfektionistin im weißen Bademantel, über die Bühne flitzte, mit dem Techniker die letzten Details besprach, während bereits die Zuschauer eingelassen wurden. Sie verschwand schnell und unerkannt hinter der Bühne, um kurze Zeit später, entspannt und im perfekten Bühnenoutfit, für ein tolles Konzert auf die Bühne zu kommen. Nun, der Gasteig wird irgendwann renoviert, und bis es los geht, heißt er „Fat Cat“. Wie die Betreiber selbst schreiben, verfolgen sie als gemeinnützige GmbH das Ziel, kreative Vielfalt zu ermöglichen und Leerstand zu vermeiden. Mein erster Kontakt beginnt auf dem Dach. Hier entstand der Kulturdachgarten. Für mich ist das im Moment einer der schönsten Plätze der Stadt. Nur vier Stockwerke zu Fuß aufwärts geht’s, denn da der Gasteig ja am Hang gebaut wurde, geht man oben angekommen über die Dachlänge nach vorne und steht sozusagen über der Stadt, hat einen atemberaubenden Blick über München. Auf mehreren Ebenen kann man sich umschauen, sitzen, liegen, es gibt Bars, eine Pfannkuchenbäckerei. Tagsüber ist nicht so viel los und man findet immer einen Platz, kann einfach kurz auf ein Getränk vorbeischauen. Abends und an den Wochenenden ist’s voll. Im restlichen Gebäude kann ich nur ein paar Highlights besuchen, es ist einfach zu viel für diese Seite. Ich bin im Bellevue Couture, dem Schneideratelier des Bellevue di Monaco, im Café Misafir, in dem man auch Second-Hand-Sachen kaufen kann. Ein Schlagzeug steht da, offensichtlich gibt es auch Livemusik. Ein kleiner Saal mit Bühne ist entstanden, geeignet für kleine Konzerte oder Vorträge – und man kann ihn mieten. Es gibt die Münchner Werkzeugbibliothek mit dem Repair Café. Michael Mittermeier hat hier seinen Lucky Punch Comedy Club. Über die Rolltreppe in der Eingangshalle wurde als Kunstinstallation eine Treppe gebaut. Kunst, ja, aber auch günstiger, als die Rolltreppe dauerhaft zu betreiben. Im Hof gibt es ständig neue Installationen. In einer Ecke stehen kleine Hochbeete, die bewirtschaftet ein Kindergarten. Wie gesagt, ich kann hier nur einen kleinen Teil anreißen. Gehen Sie einfach auf den wunderbaren Dachgarten mit einer der schönsten Aussichten auf München, und sagen Sie hinterher nicht, ich hätte nichts gesagt – obwohl ich’s ja gerne verheimlichen würde. Bis der alte Gasteig mal saniert wird, ist hier viel geboten: Kultur, Gastro und ganz viel Spaß Vom Gasteig-Dach liegt einem die halbe Stadt zu Füßen. Fotos: Sigi Müller Diese kleinen Hochbeete betreuen Kinder aus einem Kindergarten. Blick von der Dachterasse: Was für ein München-Panorama! Michael Mittermeier (M.) in seinem Lucky Punch Comedy Club. 23 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE

24 MÜNCHENS SCHÖNSTE SEITEN - 77 JAHRE AZ ABENDZEITUNG SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. 6. 2025 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Wo Schwabing herrschaftlich ist Ich gehe ja gerne auf den Olympiaberg zum Sonnenaufgang. Die schönste Zeit ist schon circa 30 Minuten davor. Je nach Wetterlage leuchtet dann der Himmel unterschiedlich. Mal ist Party oben, mal flüstern alle, weil sie ganz ergriffen sind. Nicht weitersagen, sonst rennen demnächst alle morgens um 6 auf den Berg. Man kennt das. An solch einem Morgen, noch bevor die Sonne aufging, stand ich also oben. Ich hatte ein größeres Teleobjektiv dabei und schaute damit auf die Stadt. Bei der Ursulakirche blieb ich hängen. Licht brannte im Turm und in der Kuppel, der Himmel rot. Hochhaussilhouetten im Hintergrund – mir gelang das abgebildete Foto. Lange war ich schon nicht mehr in der Kaiserstraße, so beschloss ich, die frühe Stunde zu nutzen und Schwabing beim Aufwachen zuzusehen. Von der Leopoldstraße abgebogen, sieht man bald zur rechten wunderbare Altbauten im Stil der Neorenaissance. Schön restauriert. Ein Stück weiter, auf einem Betonkasten am Gehweg, steht obenauf ein Karton mit alten Merianheften. Eine MünchenAusgabe gleich als Erstes. „Zu verschenken“ auf einem Zettel daneben. Ich nehme das Geschenk gerne an und finde noch drei Hefte über München, die ich mitnehme. Das Älteste von Dezember 1971 mit spannenden Artikeln und einem Bericht über die kommenden Olympischen Spielen 1972. Auch erfahre ich aus einem Artikel mit der Überschrift „Schwabing ist kein Zustand mehr“, dass Lenin um die Jahrhundertwende in der Kaiserstraße 46 wohnte. Am Kaiserplatz wohnt unser ehemaliger Oberbürgermeister Christian Ude mit seiner Familie. Ich traf ihn vor einigen Tagen bei den Abräumarbeiten von Väterchen Timofeys abgebrannter Friedenskirche. Auf meine Frage, ob er einverstanden ist, dass ich seine Adresse verrate, sagte er, kein Problem, die ist mittlerweile in München so bekannt, dass er meist bei den Taxifahrern nur noch „nach Hause“ als Ziel angeben müsse. Der Stadtspaziergänger streift heute durch die Kaiserstraße mit ihren vielen Altbauten. Start ist aber am Olympiaberg St. Ursula im ersten Morgenlicht: Kuppel und Campanile funkeln, das Hypo-Hochhaus rechts liegt noch im Dunkeln – eingefangen vom Olympiaberg aus. Fotos: Sigi Müller Schöner Figurenschmuck im Morgenlicht in der Kaiserstraße 14. Unglaublich: Im sauteuren Schwabing gibt’s direkt mal was geschenkt. Jugendstil-Fassade des Bayerischen Revisionsvereins – der spätere TÜV. Witzige Lätzchen in der Auslage vom „Bauchladen“. Der Anfang der Kaiserstraße: Altbau reiht sich hier an Altbau. Fast ein bisserl Florenz: St. Ursula, der Dom von Schwabing. Herrlich: ein Jugendstil-Giebel.

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